Barbara Schmutz

«Psychische Erkrankungen sind immer noch stigmatisiert»

Pfarrerin Barbara Schmutz präsidiert den Kantonal-Bernischen Hilfsverein für psychisch Kranke. Im Interview sagt sie, warum es den Verein auch nach 140 Jahren noch braucht und welchen Beitrag die Kirche zur Integration von Menschen mit einer psychischen Krankheit geleistet hat.

Der Kantonal-Bernische Hilfsverein für psychisch Kranke zählte einst rund 10’000 Mitglieder, 2020 noch eine Handvoll. Warum ist er trotzdem noch relevant?

Barbara Schmutz: Menschen, die psychisch erkrankt sind, werden in unserem heutigen Gesundheitssystem, in der Gesellschaft und in der Politik an den Rand gedrängt. Sie erhalten zu wenig finanzielle und personelle Unterstützung auf ihrem Weg der Gesundung. So werden nicht alle Therapien von den Krankenkassen bezahlt. Hier springt der Hilfsverein ein. Auch neue Institutionen unterstützen wir. Der Hilfsverein ist aber auch deshalb immer noch relevant, weil psychische Erkrankungen nach wie vor stigmatisiert sind. Viele Menschen können sich nicht vorstellen, selbst an einer psychischen Erkrankung zu erkranken. Wenn sie es dann doch tun, verheimlichen sie es. Deshalb ist es gut, wenn Politikerinnen oder Spitzensportler über ihr Burnout oder ihre Depression reden. So merkt unsere Gesellschaft, dass psychische Krankheiten alle betreffen können, nicht nur den Arbeitslosen oder die Hausfrau.

Wen unterstützt der Verein?

Wir unterstützen einerseits Menschen, die wegen einer psychischen Erkrankung in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Letztes Jahr sprachen wir dafür 81’000 Franken. Die Unterstützung zielt darauf ab, die Lebensqualität und die Integration der Betroffenen in die Gesellschaft zu verbessern. Deshalb fördern wir auch Organisationen, Projekte, Gruppen und Institutionen, die dies anbieten. Dieses Jahr sind bei uns bereits 32 Einzelgesuche eingegangen. Das ist eine starke Zunahme, die mit der Coronavirus-Pandemie wahrscheinlich nichts zu tun hat. Da unsere Mittel beschränkt sind, müssen wir die Unterstützung für Institutionen leider zurückfahren. Dies betrifft zum Beispiel die Interessengemeinschaft Sozialpsychiatrie Bern (IGS). Wir haben ihr Angebot des begleiteten Wohnens und der Freizeitgestaltung 30 Jahre lang mit jeweils 30’000 Franken unterstützt und können dies nun nicht mehr tun.

Welches sind die aktuellen Herausforderungen des Vereins?

Die Hauptherausforderung liegt darin, das Vermögen des Vereins zu sichern, sodass es auch in Zukunft zur Verfügung steht. Deshalb ändern wir die Rechtsform und wandeln den Verein per 1.1.2021 in eine Stiftung um. Die laufenden Ausgaben finanzieren wir über Spenden und Legate. Wir stehen zum Beispiel auf dem Kollektenplan der Kirchgemeinden. Eine Synodalrätin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn sitzt bei uns im Vorstand ein. Eine Vertretung der Landeskirche wird auch weiterhin im Stiftungsrat Einsitz nehmen. Das finanzielle wie personelle Engagement der reformierten Landeskirche ist ein starkes Committment.

2018 haben Sie das Präsidium übernommen. Was zeichnet Ihre Präsidentschaft aus?

Ich wollte von Beginn weg den Verein professionalisieren und modernisieren. Das erklärt den Wechsel der Rechtsform. Weiter haben wir die Gesuchstellung angepasst. Gesuche für eine Unterstützung können neu nur noch über unsere Website be-hilfsverein.ch eingereicht werden. Da dies meist von Mitarbeitenden von Sozialdiensten gemacht wird, diskriminiert dies niemanden. Die Daten sind sehr sicher, denn sie werden mit einer Software verschlüsselt, die von Banken eingesetzt wird. Der frühere Versand der Gesuche per Post bedeutete hingegen ein Risiko für die Datensicherheit. Das neue Vorgehen erlaubt uns zudem, Gesuche sehr viel schneller zu prüfen.

Der Hilfsverein hat traditionell einen starken Bezug zur Kirche. Was hat sie zum Wohl der psychisch Kranken beigetragen?

Um es theologisch auszudrücken: Die Kirche sieht in allen Menschen Kinder Gottes. Niemand kann ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund hat sich die Kirche dafür eingesetzt, dass die Betroffenen als Menschen mit einer Krankheit wahrgenommen werden, nicht als Kranke. Dieser Unterschied wirkt der Stigmatisierung entgegen. Diese Haltung, auch wenn sie nirgends festgeschrieben ist, floss über den Hilfsverein in die Gesundheitspolitik ein. Die Kirche wirkte hier als Fürsprecherin der Vulnerabelsten, denen sie eine Stimme gab. Für mich gehört dies zu ihrem Auftrag. Auch heute noch ist die Landeskirche mit dem Hilfsverein verbunden, nicht nur über den Einsitz einer Synodalrätin. Das Präsidium wird traditionell von einer Pfarrperson übernommen. Im Vorstand und im Unterstützungsausschuss sind ebenfalls Pfarrpersonen vertreten. Diese Verpflichtungen dauern oft sehr lange, sodass viel Know-how aufgebaut wird.

Zum vollständigen Beitrag in der Zeitung reformiert.