Das entzündete Hirngewebe eines Patienten mit Multipler Sklerose weist IgA-produzierende B-Zellen (rot) auf, die mittels Fluoreszenzmikroskopie sichtbar gemacht wurden. Grün zeigt CD19 als Marker für B-Zellen an, Blau die Zellkerne.

Die Gesundheit sitzt im Darm

Unser Darm enthält eine unvorstellbar grosse Menge an Bakterien. Sie sind mit dem Gehirn verbunden und beeinflussen unsere Gesundheit.

Auf unserer Haut, im Genitaltrakt, in den Atemwegen und in unserem Verdauungsapparat leben Mikroorganismen. Zusammen bilden sie das Mikrobiom. Den grössten Teil des Mikrobioms machen Bakterien aus. Ungefähr 10-100 Billionen dieser einzelligen Lebewesen tragen wir in uns. «Wir bestehen etwa zu 50% aus menschlichen Zellen und zu 50% aus Zellen von Bakterien», sagt Anne-Katrin Pröbstel. Sie ist Eccellenzza Professorin des Schweizerischen Nationalfonds und als leitende Ärztin in der Neurologie am Unispital in Basel sowie als Forschungsgruppenleiterin am Department Biomedizin der Universität Basel tätig.

Nicht in uns, sondern auf uns

Der grösste Teil des Mikrobioms befindet sich im Verdauungsapparat, und zwar im Dickdarm. «Der Dickdarm ist das am dichtesten besiedelte Ökosystem der Welt», sagt Jan Hendrik Niess, Professor und leitender Arzt Gastroenterologie/Hepatologie am Universitären Bauchzentrum Basel Clarunis. Die Vorstellung einer riesigen Menge an fremden Lebewesen in unserem Verdauungssystem mag etwas unheimlich erscheinen. Genau genommen sind die Bakterien jedoch nicht in uns, sondern auf uns: «Der Inhalt unseres Darms gehört samt Mikrobiom zur Aussenwelt. Unsere Innenwelt wird durch die äusserste Darmschicht, die Epithelschicht, abgegrenzt», sagt Petr Hrúz, der ebenfalls als Professor und leitender Arzt Gastroenterologie/Hepatologie am Universitären Bauchzentrum Basel Clarunis tätig ist.

Das Darm-Mikrobiom eines Menschen wird zumindest bei einer vaginalen Geburt zunächst von der biologischen Mutter geprägt. Noch im ersten Lebensjahr pendelt sich ein ganz eigenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Bakterienstämmen ein. Die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms ist von Mensch zu Mensch verschieden, selbst wenn sie im selben Haushalt leben und sich ähnlich ernähren. Im Kern bleibt das Mikrobiom über das ganze Leben stabil. Es wird jedoch durch die Ernährung sowie allfällige Erkrankungen und Medikamenteneinnahmen beeinflusst. «Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms durch Antibiotika dauerhaft verändert», sagt Anne-Katrin Pröbstel. Die Einnahme von Probiotika hingegen hat laut Jan Hendrik Niess nur geringe Auswirkungen auf das Darm-Mikrobiom: «Die Menge an Darmbakterien und der Konkurrenzkampf unter ihnen sind so gross, dass sich Probiotika kaum durchsetzen können.»

Mit dem Gehirn verbunden

Das Darm-Mikrobiom übernimmt im Körper zahlreiche Aufgaben. So unterstützt es unsere Verdauung, indem es unseren Darm in Bewegung hält und Ballaststoffe in Nährstoffe umwandelt. Die Bildung der Vitamine B12 und K zum Beispiel übernehmen unsere Darmbakterien. Zudem erzeugt unser Darm-Mikrobiom verstoffwechseltes Tryptophan, den Vorläufer des Glückshormons Serotonin. Dafür verarbeitet es täglich rund sechs Liter Wasser, von denen nur etwa 100 Milliliter wieder ausgeschieden werden.

Weiter beeinflusst das Darm-Mikrobiom unser Immunsystem und unser Gehirn. Im Dick- und Dünndarm, auf der anderen Seite der Epithelschicht, befinden sich 70-80% der menschlichen Immunzellen. Hier erfolgt der Grossteil der Abwehrreaktionen, was den Darm zum eigentlichen Sitz des menschlichen Immunsystems macht. Zudem weist der Darm das enterische Nervensystem mit rund 100 Millionen Nervenzellen auf. Über den Vagus-Nerv und die Blutbahn ist es mit dem Gehirn verbunden. Das Darm-Mikrobiom interagiert mit diesen Immun- und Nervenzellen. Dies ermöglicht komplexe Wechselbeziehungen zwischen Darm-Mikrobiom, Darm-Immunsystem, enterischem Nervensystem und Gehirn. Wegen dieser so genannten Darm-Hirn-Achse können Veränderungen des Darm-Mikrobioms nicht nur Erkrankungen im Darm selbst begünstigen, sondern auch solche des zentralen Nervensystems wie zum Beispiel Multiple Sklerose. Weitere mit dem Darm-Mikrobiom assoziierte Erkrankungen sind Depressionen und Autismus.

Der vollständige Beitrag erschien in der Beilage «Life Sciences» von Tamedia.

Bild: Anne-Katrin Pröbstel, Universität Basel; Lucas Schirmer, Universität Heidelberg