Eva Segmüller

Die Geburt des Spitex Verbandes Schweiz

Wie es zur Gründung des Spitex Verbandes Schweiz kam, was den Verband im ersten Jahr beschäftigte und was das Logo bedeutet.

Am Donnerstag, 1. Dezember 1994 um 14.30 Uhr versammelten sich über 70 Personen im Restaurant Sternen in Muri bei Bern. Unter ihnen befanden sich Vertreterinnen und Vertreter der damals 21 Spitex-Kantonalverbände, die Vorstandsmitglieder sowie Ehrenmitglieder der Schweizerischen Vereinigung der Gemeindekranken- und Gesundheitspflegeorganisationen (SVGO) und der Schweizerischen Vereinigung der Hauspflegeorganisationen (SVHO), François Huber als Vertreter des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV), die Präsidentin der Konferenz der Schulen für Hauspflege Erika Hostettler und zwei Dolmetscherinnen, die das Gesagte auf Französisch bzw. Deutsch übersetzten. In den folgenden 105 Minuten schrieben die Stimmberechtigten Schweizer Gesundheitsgeschichte: Sie lösten die beiden Vereinigungen SVGO und SVHO auf und gründeten den Spitex Verband Schweiz. Genau einen Monat später, am 1. Januar 1995, nahm dieser nationale Zusammenschluss der Non-Profit-Spitex seine Arbeit auf. Damit war ein wichtiger Akteur im Schweizer Gesundheitswesen geboren. Fortan sprach die ambulante spitalexterne Krankenpflege und Hauspflege mit einer einzigen Stimme.

Eva Segmüller zur ersten Zentralpräsidentin gewählt

Die Gründungsversammlung in Muri verlief zügig. Die Stimmberechtigen widmeten sich erst den Formalitäten. Sie wählten einen Tagungspräsidenten und die Stimmenzähler, bereinigten die Stimmen und genehmigten die Traktandenliste. Danach gingen sie zum Inhaltlichen über. Als Erstes legten sie die Mitgliederbeiträge fest. Der Vorschlag sah 1000 Franken pro Kantonalverband sowie 0,0175 Rappen pro Einwohner vor, was einstimmig angenommen wurde. Mehr zu reden gab das Budget des neuen Verbandes: Die Sozialleistungen von 100’000 Franken, die 25% der Lohnsumme entsprachen, schienen einigen Anwesenden zu hoch. Das Budget wurde deshalb nur mit der Auflage genehmigt, die Sozialleistungen und Weiterbildungskosten transparent auszuweisen. Als Nächstes standen Personalien auf der Traktandenliste. Zunächst wurde mit CVP-Nationalrätin Eva Segmüller die Präsidentin des neuen Verbands gewählt. Im Hinblick auf die Abstimmung zum Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG), die nur drei Tage später stattfinden würde, wollte Eva Segmüller an der Gründungsversammlung «kein fertiges Tätigkeitsprogramm vorlegen», wie im Protokoll nachzulesen ist. Danach wurden die weiteren zehn Vorstandsmitglieder des neuen Spitex-Verbandes Schweiz sowie die Kontrollstelle gewählt.

Bevor die Sitzungsteilnehmerinnen und -teilnehmer in die neblige Dämmerung hinaustraten, gab es Gratulationen, Dank und einige Voten für die Zukunft. Erika Hostettler etwa machte sich gemäss Protokoll stark «für ein attraktives Berufsbild, für eine Grundausbildung und berufsbegleitende Ausbildungen». Der BSV-Vertreter François Huber erhoffte sich mit dem neuen Verband «einen starken nationalen Partner, der im Spitex-Bereich Zeichen setzt». Beatrice Mazenauer, die erste Zentralsekretärin des Verbands, bekräftigte, dass dieser für seine Mitglieder da sei und deren Beratung und Interessenvertretung zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählen würden.

«Es war wie bei einer Volksabstimmung»

Damit es im Sternen Muri zur geschichtsträchtigen Gründung des Spitex Verbandes Schweiz kommen konnte, war jahrelange Vorarbeit notwendig gewesen. Die Vorstände der SVGO und der SVHO bildeten eine Projektgruppe, die unter der Führung des Juristen Peter Schwarz die Fusion vorbereitete. Der Thurgauer Treuhänder Hermann Studer, damaliger Präsident der SVGO, erinnert sich an eine arbeitsintensive Zeit: «Die Vertreter der beiden Vereinigungen mussten einander näher kennenlernen. Es standen viele Reisen nach Bern an, wo wir in zahlreichen Arbeitsgruppen im Detail diskutierten, wie vorzugehen sei.»

Eine der engagiertesten treibenden Kräfte für eine gesamtschweizerische Spitex-Organisation war die Sankt Gallerin Eva Segmüller. Sie präsidierte von 1987 bis 1992 die CVP Schweiz und stand damit als erste Frau der Schweiz einer Bundesratspartei vor. Seit 1979 sass sie im Nationalrat, wo sie sich für Gesundheitspolitik einsetzte. Ihr war schnell klar, dass die Spitex auf die nationale Bühne gehörte. «Einerseits war die ambulante Betreuung von grosser Bedeutung, zumal sie potenziell jede und jeden einmal betreffen kann. Andererseits war sie regional oder gar lokal organisiert, sodass sie sich in der Gesundheitspolitik kein Gehör verschaffen konnte. Die Folge: Ihre Leistungen wurden nicht über die Krankenkasse abgegolten. Abhilfe würde nur ein nationaler Verband schaffen, denn nur ein solcher konnte die Interessen der gesamten ambulanten spitalexternen Pflege vertreten», sagt Eva Segmüller.

Die energische Politikerin weibelte landauf und landab für ihr Vorhaben. Sie trat in unzähligen Dörfern und Vereinen auf, um die Basis – die Gemeindeschwestern und die Hauspflegerinnen – für ihre Sache zu gewinnen. «Es war wie bei einer Volksabstimmung: Man musste sein Anliegen verkaufen», sagt Eva Segmüller, die heute zurückgezogen in Uster lebt. Dass die Verhandlungen viel Zeit in Anspruch nahmen, hat auch mit der Geschichte der beiden Vorgängerorganisationen zu tun. Beide blicken auf eine lange Vergangenheit in der ambulanten spitalexternen Betreuung von Menschen zurück, haben sich aber unterschiedlichen Aufgaben gewidmet und ein dementsprechend unterschiedliches Berufsverständnis entwickelt.

Fachkräftemangel nach dem Zweiten Weltkrieg  

Bis zum Zweiten Weltkrieg war die Krankenpflege weitgehend von Ordensschwestern geprägt. Der Jahresbericht 1942 der Gemeinnützigen Gesellschaft Wipkingen hält zum Beispiel fest: «Das Berichtsjahr 1942 brachte unsern beiden Krankenschwestern Marie Gasser (Diakonissenhaus Neumünster, Zürich) und Anna Gehringer (Sanatorium «St. Anna», Luzern) wie immer ein voll gerüttelt Maß an Arbeit (…). Die beiden Schwestern pflegten zusammen 572 Patienten; sie machten total 17 876 Besuche und hatten 35 Nachtwachen zu übernehmen. (…) Die beiden Schwestern konnten ohne nennenswerte gesundheitliche Störungen das ganze Jahr hindurch ihr reichlich bemessenes Arbeitspensum erledigen. (…) Anerkennenswert ist vor allem, mit welcher Rüstigkeit und Frische Schwester Marie Gasser trotz ihrer 65 Lebensjahre ihr Amt zu versehen vermag.»

Der vollständige Beitrag erschien im Spitex Magazin.