Erfahrungen in der Selbst-Isolation

Erfahrungen in der Selbst-Isolation

Eine Übung in Selbstführung: Wegen Verdachts auf Covid-19 verbringe ich zwei Wochen zuhause, allein mit mir und meinen nicht immer hilfreichen Gedanken.

Es beginnt am Samstagnachmittag auf dem Sofa. Von der einen Sekunde auf die andere fühlt sich mein Körper an, als würde er von Klingen aus Eis durchbohrt. Mir ist sofort klar, dass sich etwas anbahnt. Ich gehe früh ins Bett und schlafe fast zwölf Stunden. Am nächsten Morgen habe ich einen dicken Hals, genau wie beim Beginn einer Erkältung. Wieder gehe ich schon um 20 Uhr schlafen. Am Montag sind die Symptome eindeutig: Ich habe einen trockenen Husten und fühle mich fiebrig. Die medizinische Praxisassistentin meines Hausarztes, bei der ich eine Impfung verschiebe, bestätigt mir, dass ich in Selbstisolation gehen müsse. Getestet würde ich nicht, da ich nicht zu einer Risikogruppe gehöre.

Einkaufen will geplant sein

Weil ich vor nur zwei Monaten eine lange Grippe hatte, will ich mich diesmal klüger verhalten. Ich verschiebe alle nicht dringenden Arbeiten auf die nächste Woche, damit ich mich möglichst gut schonen kann. Allerdings bin ich mit Praktischem gefordert, denn ich wohne alleine und muss meinen Haushalt neu organisieren. Zwei Nachbarinnen, die längst zu Freundinnen geworden sind, übernehmen das Einkaufen und bringen meinen wöchentlichen Gemüsekorb vom Eigerplatz nach Köniz. Um sie nicht unnötig zu beanspruchen, versuche ich es mit Online-Shopping. Bis Coop etwas liefern würde, bin ich hoffentlich wieder gesund. Bei myMigros sieht es besser aus, zudem sind die Lieferkosten tiefer. Dennoch gehen die Bestellungen in die Hose: Ich bin des Grosseinkaufs ungeübt und bestelle das, was ich nicht vergesse, in zu kleinen Mengen. Ein Nachbar, mit dem ich noch kaum ein paar Worte gewechselt habe und der für eine der beiden Nachbarinnen-Freundinnen einkaufen geht, springt spontan ein und bringt mir, was fehlt. Das Geld überweise ich ihm mittels E-Banking, um jeden persönlichen Kontakt zu vermeiden.

Ein erster Vorgeschmack aufs Pflegeheim?

Obwohl ich die Hilfsbereitschaft meiner Umgebung schätze, macht mir die Abhängigkeit von anderen zu schaffen. Ist das ein erster Vorgeschmack aufs Pflegeheim? Überhaupt ist die Selbst-Isolation unerwartet schwierig. Es ist etwas ganz anderes, vor lauter Arbeit für ein paar Tage kaum aus dem Home Office zu kommen, als es über lange Zeit nicht verlassen zu dürfen. Der Mangel an Bewegung und sozialen Kontakten führt dazu, dass mir die Decke innert kurzer Zeit auf den Kopf fällt. Kuriose Ideen tauchen auf. Wie wohl Einbrecher mit dem Lockdown umgehen, jetzt, wo alle Leute zuhause sind? Führt die verringerte Mobilität zu weniger Vergewaltigungen und Morden? Und ob Drogenkonsumierende noch zu ihrem Stoff kommen?

Angst macht sich breit

Nachts plagen mich heftige Hustenanfälle. Nach einem besonders intensiven stehe ich auf, zücke mein Phytomedizin-Nachschlagewerk und vertiefe mich ins Kapitel Reizhusten. Ich muss mit dem arbeiten, was ich daheim habe, und das ist Lindenblütentee. Einen Beutel in eine Tasse geben, mit kaltem Wasser übergiessen, abdecken, eine halbe Stunde ziehen lassen und schluckweise trinken, lese ich da. Es hilft! Nichtsdestotrotz geht es mir am zweiten Wochenende schlechter statt besser. Die Anfälle sind zwar weniger geworden, aber Husten und Fieber haben sich hartnäckig gehalten, und neu kommt ein starker Druck auf der Brust dazu. Ist das wirklich ein milder Verlauf oder wandert meine Infektion vom Rachen nach unten Richtung Lunge? Ich erwäge, den 24-Stunden-Service meiner Krankenkasse anzurufen, komme mir aber lächerlich vor, zumal ich keine Atembeschwerden habe. Stattdessen konsultiere ich Dr. Google, der Entwarnung gibt. Trotzdem ist das Wochenende schwierig, denn die Angst vor einer Lungenentzündung bleibt. Sie ist so stark, dass ich nicht einmal mit meinem Freund, der in Wales lebt und in der Pandemie in weite Ferne gerückt ist, darüber reden mag. Wir können vieles über WhatsApp-Videoanrufe überbrücken, aber jetzt mache ich mich in meiner Wohnung unerreichbar. Selbst-Isolation im wahrsten Sinne des Wortes. Da war es unter der Woche einfacher, denn die Telefonate mit Interviewpartnern und Kunden lenkten mich ab.

Bilder, die mich verfolgen

Die Medien verstärken meine düsteren Gedanken. Die Bilder der Patienten aus Bergamo, die wie zu einer Massage aufgereiht friedlich dazuliegen scheinen, während sie mit dem Tod ringen, und die Geräusche ihrer Beatmungsgeräte verfolgen mich. Ebenso die Aufnahmen von Armeelastwagen, die Leichen abtransportieren. Auf Facebook kursieren Videos, die erläutern, was bei einer Covid-19-Erkrankung im Körper passiert. Interessant, denke ich, bis ich merke, dass das Worst-Case-Szenario gezeigt wird. Ich drücke sofort auf Stopp, habe aber schon zu viel gesehen. Die einzig übrig gebliebene Tagesstruktur bietet mein Kater, der auf unseren Ritualen beharrt und so einen Schuss Normalität in diese eigenartige Zeit bringt.

Und dann gehts plötzlich schnell

Zur Angst mischt sich Wut über den Bundesrat. Als Selbstständige, die nur indirekt vom Lockdown betroffen ist, falle ich durch alle Erwerbsersatz-Maschen.* Unter solchen Umständen einen Virus zu bekämpfen, ist doppelt anstrengend. Mit der Genesung harzt es sowieso, da helfen auch die ganzen Nahrungsergänzungsmittel nichts, die ich fleissig einnehme. Das Fieber kehrt immer wieder zurück, der Husten ist auch in der zweiten Woche unverändert. Abends bin ich vom bisschen Arbeiten erschöpft und brauche weiterhin mindestens zehn Stunden Schlaf. Und dann, so schnell wie sie gekommen sind, sind die Symptome auf einmal verschwunden. Noch zwei Sicherheitstage in der Selbst-Isolation, dann darf ich nach 15 Tagen wieder raus. Draussen finde ich meinen inneren Frieden wieder: Meine Sorgen schmelzen beim Spazieren in der Frühlingssonne dahin.

* Mittlerweile gibt es für alle Selbstständigen Hilfsmassnahmen.

Text und Bild: Karin Meier