Eine verstorbene Person kehrt nicht zurück. Trauern erfordere deshalb die Akzeptanz einer gewissen Hoffnungslosigkeit, sagt der emeritierte Psychologieprofessor Hansjörg Znoj. Am 4. März spricht er im Kirchgemeindehaus Petrus.
Warum ist Trauern ein so wichtiger Prozess im Umgang mit Verlust?
Hansjörg Znoj: Wenn man eine Beziehung pflegt zu einem Menschen, der einem wichtig ist, entsteht eine Bindung. Solche Bindungen sind biologisch determiniert und geschehen ohne unser Zutun. Wir haben Bindungen zum Ehepartner, der neuen Liebe, zu unseren Kindern und zu guten Freunden. Diese Personen sind Teil unseres Verständnisses von uns selbst. Falls eine von ihnen stirbt, erzeugt dies eine innere Leere, die oft mit grossem Schmerz verbunden ist. Trauer ist die Gewöhnung daran, dass die Person nicht mehr da ist. Es handelt sich um einen Vorgang, der zwar unterschiedlich verlaufen kann, aber im Wesentlichen ungesteuert abläuft.
Welche Mythen über Trauer begegnen Ihnen in Ihrer Arbeit?
In unserem westlichen Kulturkreis existieren verschiedene Mythen. Einer besagt, dass Trauer ein Prozess ist, der aktiv, also bewusst durchlitten werden muss. Dass die Verbindung zu einer verstorbenen Person aufgelöst werden muss, damit man sich neu binden kann, ist ein weiterer Mythos. Weiter gibt es die Vorstellung, Trauern dauere ein Jahr. Sie geht darauf zurück, dass wir Zeit in Jahre einteilen. Die meisten Menschen trauern jedoch wesentlich länger als bloss ein Jahr.
Wie wichtig ist das soziale Umfeld in Zeiten der Trauer?
Das soziale Umfeld ist das wichtigste überhaupt, denn Trauer ist eine soziale Verletzung: Ich bin verletzt, weil eine wichtige Person nicht mehr da ist. Das soziale Umfeld kann diese Person natürlich nicht ersetzen. Aber es kann gemeinsam mit mir trauern und mich stützen. Das soziale Umfeld kann jedoch auch überfordert sein. Das geschieht oft dann, wenn eine trauernde Person keinen Weg in eine neue Normalität findet. Freunde und Bekannte ziehen sich dann vielfach zurück, sodass die trauernde Person noch stärker verletzt wird. Eine solch komplexe, anhaltende Trauerstörung tritt jedoch nur bei einem kleinen Prozentsatz der Trauernden auf.
Wie können Rituale – ob religiös oder weltlich – Menschen helfen, mit Verlusten umzugehen?
Rituale sind symbolische Akte des Ausdrucks. Man drückt sich aus, indem man etwa eine Gedenkfeier abhält oder einen Ort hat, an den man zum Trauern hingeht. Dabei tritt man vorübergehend aus dem Alltag heraus und kehrt anschliessend gefasster in ihn zurück. Rituale sind deshalb wichtige Formen der Bewusstmachung und des Verarbeitens von Verlusten. Daneben gibt es natürlich viele andere Rituale, die nichts mit Trauer zu tun haben.
Welche Rolle spielen Glaube und Spiritualität in der Trauerbewältigung?
Beim Trauern geben wir die Hoffnung auf, dass eine Person zurückkehrt, und finden einen Umgang mit dieser Hoffnungslosigkeit. Die christliche Überzeugung, dass das Leben weitergehen kann und der Tod nicht endgültig ist, gibt uns eine Hoffnung jenseits der Hoffnungslosigkeit. Es ist eine transzendente, nicht mehr ans Leben gebundene Hoffnung, dass letzten Endes alles wieder gut wird. Dies kann tröstlich sein. Ob der Glaube in der Trauer Unterstützung bietet, hängt jedoch auch vom Gottesbild ab. Dies stellten wir in einer Untersuchung zu Eltern fest, die ein Kind verloren hatten. Diejenigen Personen, die an einen strafenden Gott glaubten, wurden viel eher depressiv oder waren sehr verzweifelt. Das ist einleuchtend, denn sie waren der Überzeugung, dass ihr Leiden davon kam, dass sie sich nicht richtig verhalten hatten. Zudem wissen wir, dass es kontraproduktiv sein kann, wenn eine trauernde Person auf eine Wiedervereinigung mit dem Verstorbenen im Tod hofft. Gerade bei Jugendlichen, die einen Elternteil verloren haben, kann diese Vorstellung Suizidgedanken hervorrufen.
Das vollständige Interview erschien in der Stadtberner Ausgabe der Zeitung «reformiert.» und kann hier heruntergeladen werden: GKGBE_13_2503